68 - Überfahrt nach Nuku Hiva

Auf uns gestellt.
April 22

Ein Erlebnis der Sonderklasse

Ich weiss jetzt genau, wie lange ein Monat auf See ist. Nach absolut genau 30 Tagen erreichten wir am 14. April 2022 Nuku Hiva (Marquesas/French Polynesia). Um 3:30 h in der Nacht Ortszeit ankern wir in der dunklen Bucht. Da die Berge den untergehenden Mond verdecken, haben wir kein Licht mehr, das uns dabei hilft.

Die letzten Tage vor unserer Abreise (15. März 2022) verbringen wir an einer freien Boje vor der Insel Taboga. Sie ist 8 NM von Panamá entfernt, also leicht zu erreichen. Es gefällt uns sehr gut, alles ist überschaubar klein, still und freundlich. Wir vertreten uns noch einmal unsere Beine und machen uns auf, die Hügel zu erkunden. Dort wo das grosse Kreuz steht, haben wir einen wunderbaren Überblick über die kleine Bucht und hinüber zur Grossstadt Panamá. Dazwischen liegen wieder die grossen Schiffe auf Reede.

Unsere Freunde aus Australien und Neuseeland sind ebenfalls da. Zusammen verbringen wir einen schönen Abend in einem kleinen Restaurant mit Sitzplatz auf der Terrasse und Sicht auf die Bucht. Es wird ein sehr lustiger und amüsanter Abend. Sie werden in ein paar Tagen ebenfalls nach Marquesas aufbrechen, wir freuen uns schon jetzt auf ein Wiedersehen.

Crews von SY ROSIE SKYE, MATARIKI und PASITO (Chris fotografiert).
Panamá City am Horizont.

Der lange lange Weg nach Westen

Auf engstem Raum, ohne die geringste Möglichkeit von dort zu verschwinden, eine Pause zu machen oder sich mit anderen Menschen zu treffen, reisen wir übers Meer. Auf einem Schiff, das sich ununterbrochen von einer Seite zur andere neigt und dem Körper kaum einen Moment der Entspannung gönnt. Jede Tätigkeit, die normalerweise automatisch und fast unbewusst vor sich geht, wird hier in aller Aufmerksamkeit vollzogen. Sei es die tägliche Zubereitung der Nahrung, um dem menschlichen Organismus etwas Energie zuzuführen, oder dem Gemüt etwas Schönes und Gutes zu schenken, oder dem eigenen funktionalen System Schlaf und Erholung zu gönnen, oder sich der nötigen Hygiene zu widmen.

Kochen ist eine Herausforderung, bei höchster Konzentration und Körpereinsatz. Jeden Augenblick kann sich die Schiffsposition durch eine Welle ändern, somit rollt oder rutscht jedes Teil in irgendeine Richtung davon. Eine Menge kleiner Flüche hüpfen spontan aus meinem Mund und der Adrenalinspiegel schnellt kurz mal in die Höhe. Der Topf mit heissem Wasser schwenkt neben mir hin und her. Ich träume von meiner Küche zuhause mit viel Platz und Raum zur Entfaltung. Aber das genussvolle Zubereiten des lukullischen Mahls muss warten.

Oder der Schlaf, der hier dauernd durch nächtliche Ausguckwachen gestört und unterbrochen wird (wir fahren nie blind, obwohl wir in dieser Zeit gerade mal zwei Schiffe getroffen haben!) oder laute Geräusche, die durch das Wasser, welches den Rumpf umspült und die Wellen, die daran klopfen, entstehen. Eine echte Erholung des Körpers ist kaum möglich. So nehmen wir jede Möglichkeit wahr, tagsüber mal kurz ein Nickerchen zu halten, obwohl wir doch eigentlich auch mal was anderes gerne gemacht hätten.

Zum Beispiel eine Runde Yoga auf dem Vordeck, um die schlaffen Muskeln zu trainieren, oder mal wieder zeichnen oder malen, aber ohne, dass der Stift durch die kippenden Bewegungen unkontrolliert übers Papier verreist oder die Tinte durch den Wind vorzu eintrocknet.

Die Körperhygiene ist eine Prozedur, die hier unter voller Konzentration durchgeführt werden muss. Allein um sich auf die Klobrille zu setzen, müssen die Sinne präsent sein, sonst gibt es neue blaue Flecken oder Kopfweh, wenn eine unkontrollierte Welle den Körper in eine ganz andere Richtung verschiebt als geplant! Auch Duschen mit dem köstlichen Nass, das wegen Wasserknappheit rasch und effizient ausgeführt werden sollte, kann nicht mechanisch und nebenbei erledigt werden. Schliesslich ist durch Seife und Wasser alles rutschig, die Füsse könnten ihren Halt verlieren oder die Seife über Bord schliddern. Ich kenne Segler, die mit seifigen Füssen den Niedergang runtergerutscht sind und sich heftig verletzt haben. Also, bei der Sache bleiben. Meistens helfen wir uns gegenseitig und haben dabei viel zu lachen!

Das Erlebnis dieser Teil-Überquerung des Pazifiks beschränkt sich vor allem auf die Aussicht auf eine unglaubliche Weite, aus nichts als dunkelblauem Wasser und blauem wolkendurchzogenem Himmel und meistens konstantem Wind. Und fast ausschliesslich ohne Kontakt zu anderen menschlichen Wesen.

Doch plötzlich und unerwartet, treffen wir doch auf Lebenszeichen. Auf einmal ertönen aus dem Funkgerät Stimmen, die miteinander kommunizieren und sich gegenseitig berichten. So hat ein südkoreanischer Frachtschiffangestellter Fragen an die Segelcrew aus Austria. Seine Träume treffen hier auf die Wirklichkeit und entlocken ihm Ausrufe wie "yes, I see - how amazing". Jetzt weiss er, wie wir Segler bei Inseln ankern, an Land gehen, wie wir mit Papierkram jedes Mal kämpfen müssen, um uns in fremden Ländern ein- und auszuklarieren und in der Nacht auf andere Schiffe stossen. Eine halbe Stunde später kreuzen auch wir den Frachter in 4 NM Distanz und mitten in der Nacht! Yes - how amazing!

Und der Sternenhimmel erst - manchmal bereichert durch silbrig scheinenden Mond und Lichtreflexe im Wasser. Diese unglaubliche Weite um uns rum, schier unfassbar. Die Gedanken können besonders nachts enorme Ausflüge machen. Zeit ist vorhanden.

Gegen Abend wird’s deutlich kühler.

Etwas Abwechslung gefällig?

Vor allem Vögel leisten uns Gesellschaft. Entweder fliegen sie elegant rund ums Schiff, oder sie landen und machen Pause.

Wir hatten zwei besondere Erlebnisse, ein trauriges und ein lustiges.

Zwei kleine Schwalben haben sich erschöpft Schutz für die Nacht gesucht. Ganz zutraulich und ohne sich von uns stören zu lassen, sitzen sie im Heck auf der Reling, eng aneinander gekuschelt. Doch mitten in der Nacht fällt einer davon einfach vom Stängel: tot. Der andere vermisst ihn heftig, fliegt nicht mehr weg und bleibt so lange bei uns bis auch er bewegungslos einfach umkippt. Warum wissen wir nicht. Sehr traurig.

Oder die Rotfuss-Tölpel. Drei Vögel ergattern sich unter lautem gegenseitigem Protest einen Nachtsitzplatz vorne auf der Reling am Bug, zwei andere sitzen auf dem Vordeck. Als wir die Segel in der Nacht durch Reffen verändern, gibt es grad nochmals heftigen Kommentar. Und als sie sich am nächsten Morgen auf in die Lüfte davon machen, lassen sie uns ihren ganzen Sch... zurück. Nun gibt's Protest von unserer Seite - doch das nützt nichts. Nur putzen!

Auch Delphine kommen spontan immer wieder auf einen Ritt auf unseren Bugwellen vorbei, schiessen wie Pfeile blitzschnell durchs Wasser, schlagen vor Vergnügen mit ihrer Schwanzflossen darauf oder springen vor Freude hoch in die Luft. Wir lieben sie!

Gleich an unserem 1. Tag, kurz nach der Abreise, gibt es ein sehr kurzes Spektakel. Ruedi schreit auf einmal "da - ein Wal, wir haben grad ein Wal gestört - hat er uns touchiert?" Kennt ihr Youtube-Filme, die von oben gefilmt zeigen, wie Wale auf- und abtauchen? Diese riesengrossen hellen Schaumflecken, die dabei entstehen? Genauso so einen Fleck haben wir direkt neben unserem Schiff auf Backbord!! Wow!! Nur leider habe ich den Wal wieder nicht gesehen. Schade.

Äquator 0°

Am 8. Tag am 22. März 2022 überqueren wir auf 87°44'866W den Äquator! Hier hat es kaum Wind und so müssen auch wir unseren Motor zur Weiterfahrt zur Unterstützung einsetzen. Wir stossen kurz mit einem Drink an, gönnen Neptun auch einen Schluck und geniessen diesen Moment.

Unglaublich, was diese Tölpel alles rauslassen! Noch einmal lassen wir dies nicht zu!
Schöne Abwechslung im Menüplan. Ein kleiner Mahimahi – gerade recht für zwei Personen.
Die Nachtschicht beginnt.
Alle drei Stunden wechseln wir uns ab.
Die ersten Sonnenstrahlen – oh schön, die Nacht ist rum.
Immer wieder eine grosse Freude, der Morgen und das Frühstück!
Um den Abfall, plus Geruch, in Grenzen zu halten, wird er kleingeschnitten in Plastikbidons komprimiert und verschlossen.
Bluefin Tuna – your welcome, thank you. Es reicht für vier Mahlzeiten (Carpacchio, Steaks, Spaghettisosse, Thunfischsalat).
Aufwendige Gerichte gibt es nicht – so simpel wie möglich!
Jetzt probieren wir endlich mal unseren Spinnaker aus.
Nichts als Blau, Himmel und Wasser.

Endspurt, der dauert und dauert

Wir passieren Galapagos und werden etwas melancholisch. Besuchen werden wir diese Inselgruppe mit der wunderschönen Natur und der aussergewöhnlichen Tierwelt nicht. Die immensen Auflagen, dieser enorme Aufwand tun wir uns nicht an. Schade, etwas traurig sind wir schon. Auch ein Zwischenstopp zur Erholung hätte uns gutgetan.

Noch etwas ist aussergewöhnlich. Wir fahren in eine andere Zeitzone - der Zeit entgegen. Jeden Tag verschiebt sich der Sonnenauf-und -untergang nach hinten. Das ist komisch. Wir zeichnen unsere Daten im Logbuch konsequent nach der Abfahrtszeit auf, also der Zeitzone von Panamá.

Ansonsten verlaufen die Tage einer wie der andere. Selbsterklärend, dass unsere Stimmung nicht nur himmelhochjauchzend ist. Es braucht enorm Geduld. Geduld, bis der Wind stimmt, bis die Segeleinstellung richtig ist, bis das Essen endlich fertig ist, bis der Schlaf bei dem Lärm und Geschaukel endlich kommt … Wir diskutieren viel. Über die Vergangenheit, die Zukunft, was wir erlebt, richtig oder falsch gemacht haben und was wir für unsere Weiterfahrt wünschen. Zwischendurch ist Stille, hängen unseren eigenen Gedanken nach. Eigentlich wollte ich Überzüge für die Sitzkissen im Cockpit nähen. Zeit hätte ich genügend. Aber bei dem Geschaukel und dem Regen verschiebe ich dies bald. So nicht. Lesen tun wir viel.
Aber der Weg ist lang. Vier Wochen permanentes Segeln – das möchten wir nicht nochmal machen. Wir fühlen uns wie eingesperrt und von der restlichen Welt isoliert. Keine News, kein Internet, kein Kontakt zu anderen. Dabei tauchen so viele Ideen und Wünsche auf, was man gerade so machen könnte. Aber es ist nur eines gefragt: Geduld und weitermachen bis zur Ankunft.

Zwischendurch mal Infos nach Hause geben. Mit dem Satellitentelefon.
Ja, es geht uns gut – auch wenn Geduld nicht grad unsere Stärke ist.
Einer der schönsten je gesehen!

Je näher wir nach Nuku Hiva kommen, um so nervöser werde ich. Langsam wird mir bewusst, welches Ausmass unsere Aktion Pazifiküberquerung hat. Wir haben gerade 4'055,8 NM (7'511 km) mit einem Segelboot und einer Geschwindigkeit von durchschnittlich ca. 5.6 Knoten (10.3 kmh) gemacht. Unter uns eine riesige Menge Wasser, abgeschnitten von jeglicher Zivilisation (auch vom Internet!) und total auf uns selbst gestellt. Habe ICH, haben wir das wirklich erlebt? Wow!

Und es liegen noch viele Meilen vor uns bis nach Australien. Ja, der Pazifik ist riesengross!

Nachdem wir in der schönen Baie de Taiohae von Nuku Hiva eingetroffen sind, werden wir die kommenden Tage mit viel Schlafen und Ausruhen verbringen. Wir freuen uns aufs Entdecken dieser Insel, die Polynesier und die grosse Inselwelt.

 

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